Prediger 12
Ca. 950 v. Chr.
1 Und bleibe deines Schöpfers eingedenk in den Tagen deiner Jugendzeit, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre sich einstellen, von denen du sagen wirst: »Sie gefallen mir nicht«;
2 ehe noch die Sonne und das Tageslicht, der Mond und die Sterne sich verfinstern und die Wolken wiederkehren nach dem Regen,
3 in der Zeit, wo die Hüter (oder: Wächter) des Hauses zittern und die starken Männer sich krümmen; wo die Müllerinnen die Arbeit einstellen, weil ihrer wenige geworden sind, und die Fensterguckerinnen trübe werden;
4 wo die beiden Pforten nach der Straße hin geschlossen stehen, weil die Mühle mit weniger Geräusch geht, und man beim Hahnenschrei (oder: Vogelgezwitscher) aufsteht und aller Liederklang *) verstummt;
5 auch vor jeder Steigung fürchtet man sich und sieht Schrecknisse auf jedem Wege; der Mandelbaum steht in Blüte, und die Heuschrecke (oder: der Grashüpfer) schleppt sich träge dahin, und die Kaperwürze versagt ihre Wirkung – denn der Mensch geht hin zu seiner ewigen Behausung, und die Klageleute ziehen auf der Straße umher –;
6 ehe noch der silberne Faden (d.h. Lebensfaden) zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Krug an der Quelle in Scherben geht und das Schöpfrad zertrümmert in den Brunnen fällt
7 und der Staub zur Erde zurückkehrt als das, was er vorher gewesen ist, und der Odem (oder: Geist) zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat.
8 »O Nichtigkeit der Nichtigkeiten!« ruft der Prediger aus, »alles ist nichtig!«
9 Abgesehen davon, dass der Prediger ein Weiser war, hat er das Volk auch Erkenntnis gelehrt und war ein Denker und Forscher, der zahlreiche Sprüche verfasst (oder: gesammelt?) hat.
10 Der Prediger war bemüht, ansprechende Worte zu finden und zutreffende Weisungen niederzuschreiben, Aussprüche der Wahrheit.
11 Die Aussprüche der Weisen sind wie Treibstachel, und wie eingeschlagene Pflöcke stehen die einzelnen Sprüche beisammen, die von einem einzigen Hirten (= weisen Lehrer oder: Meister) herrühren.
12 Und ferner noch (oder: im übrigen): lass dich warnen, mein Sohn; des vielen Bücherschreibens ist kein Ende, und das viele Studieren verursacht dem Leibe Ermüdung. –
13 Lasst uns das Endergebnis des Ganzen hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote! Denn das kommt jedem Menschen zu.
14 Denn Gott wird in dem Gericht, das über alles Verborgene ergeht, das Urteil über alles Tun sprechen, es sei gut oder böse (gewesen).
In der gedruckten Menge-Bibel von 1963 findet sich als Fußnote:
*) W.: alle Töchter des Gesanges.
Ideen zur Bildsprache der Verse 2 - 5a:
… ehe noch die Sonne und das Tageslicht, der Mond und die Sterne sich verfinstern …
• Blindheit könnte kommen
… die Wolken wiederkehren nach dem Regen, …
• Stetig wiederkehrender Harndrang. Seelisch gesehen (»sieht keine Sonne mehr«) ev. »Trübsinn«
… die Hüter (oder: Wächter) des Hauses zittern und die starken Männer sich krümmen; …
• Zittrige Hände, Arme sowie sich krümmende Beine
… wo die Müllerinnen die Arbeit einstellen, weil ihrer wenige geworden sind, und die Fensterguckerinnen trübe werden; …
• Bei nur wenigen Zähnen fehlt vielfach der Gegenbiss zum Zerkleinern von Speisen; auch lässt die Sehkraft nach
… die beiden Pforten nach der Straße hin geschlossen stehen, weil die Mühle mit weniger Geräusch geht, …
• Verminderte Hörfähigkeit, eventuell auch allg. Teilnahmslosigkeit. Die Mühle kann wegen deren konstantem Geräusch als Maßstab gelten
… man beim Hahnenschrei (oder: Vogelgezwitscher) aufsteht und aller Liederklang *) verstummt; …
• Früh aufgestanden; abends keine fröhlichen Runden mehr
… auch vor jeder Steigung fürchtet man sich und sieht Schrecknisse auf jedem Wege; …
• Nachlassende Kondition und Zweifel an der eigenen Fähigkeit, Situationen zu meistern
… der Mandelbaum steht in Blüte, und die Heuschrecke (oder: der Grashüpfer) schleppt sich träge dahin, …
• Der weißhaarige Greis kommt nur noch langsam voran
… die Kaperwürze versagt ihre Wirkung …
• Helmut Lamparter nannte als eine mögliche Deutung: »Das hebr. Wort für „Wollust“ meint eine bestimmte Frucht, genauer die beerenförmigen Blütenknospen des Kapernstrauchs, der als Reizmittel zur Anregung des Appetits und der Zeugungskraft im Altertum verwandt wurden.« (Das Buch der Weisheit, Lamparter 1955)
»Die Bibel nach der Übersetzung von Hermann Menge. Die vorliegende elektronische Ausgabe gibt die letzte von Menge bearbeitete Textfassung von 1939 inklusive der Apokryphen wieder.«
Diese Texte sind mit Dank entnommen dem Xiphos/Sword -Projekt.
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Link zu 'Xiphos' (= Schwert; gemeint das des Geistes): xiphos.org
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