Prediger 6

Lesung aus dem Buch Kohelet

Der Prediger, Kap. 6

Ca. 950 v. Chr.

Es gibt einen Übel­stand, den ich unter der Sonne be­ob­ach­tet habe und der schwer auf dem Men­schen lastet:

Da ver­leiht Gott je­man­dem Reich­tum, ir­di­sche Güter und Ehre, so dass ihm für seine Per­son nichts fehlt von allem, wo­nach er Ver­lan­gen trägt; aber Gott ge­stat­tet ihm nicht, es zu ge­nie­ßen, son­dern ein Frem­der hat den Ge­nuss davon: das ist be­dau­er­lich und ein schwe­rer Übel­stand!

Wenn je­mand Vater von hun­dert Kin­dern würde und viele Jahre lebte, so dass die Zahl sei­ner Le­bens­ta­ge groß wäre, er aber nicht dazu käme, sei­nes Le­bens froh zu wer­den [und ihm sogar kein Be­gräb­nis zu­teil würde]1, so sage ich: Bes­ser als er ist ein Tot­ge­bo­re­ner daran. Denn ein sol­cher kommt als ein Nichts auf die Welt und geht im Dun­kel hin­weg, und sein Name bleibt mit Dun­kel be­deckt; auch hat er die Sonne nicht ge­se­hen und weiß nichts von ihr; aber in Be­zie­hung auf Ruhe hat er einen Vor­zug vor jenem.

Ja, wenn je­mand auch zwei­mal tau­send Jahre lebte, ohne je­doch sei­nes Le­bens froh zu wer­den – fährt nicht alles dahin an den­sel­ben Ort? (vgl. 3,20)


Alles Mühen des Men­schen ge­schieht für den Mund, und den­noch wird des­sen Be­gier­de nicht ge­stillt. Doch wel­chen Vor­zug hat hie­r­in der Weise vor dem Toren? Den des Armen, der sich auf die rich­ti­ge Le­bens­füh­rung ver­steht.

Besser ist das An­schau­en mit den Augen als das Um­her­schwei­fen mit der Be­gier­de. Auch das ist nich­tig und ein Ha­schen nach Wind.


10 Alles, was ge­schieht (oder: ent­steht), ist längst im vo­r­aus be­stimmt, und von vorn­he­r­ein steht fest, wie es einem Men­schen er­ge­hen wird, und nie­mand ver­mag den zur Re­chen­schaft zu zie­hen, der stär­ker ist als er. 11 Wohl fin­det da vie­les Ge­re­de statt, aber das schafft nur noch mehr Nich­tig­keit: wel­chen Nut­zen hat der Mensch davon?

12 Denn wer weiß, was dem Men­schen im Leben gut ist wäh­rend der we­ni­gen Tage sei­nes nich­ti­gen Le­bens, die er dem Schat­ten ver­gleich­bar ver­bringt? Denn wer tut dem Men­schen kund, was nach ihm sein wird unter der Sonne?


1) [und ihm sogar kein Be­gräb­nis zu­teil würde]
Hermann Menge hatte die­sen Teil­satz aus Vers 3 mit­tels Ein­klam­merns in Frage ge­stellt, und in der kom­men­tier­ten Über­set­zung von Helmut Lam­par­ter ist er in Vers 5 ein­ge­fügt.
Dazu bei Lam­par­ter die Fuß­note:
„Der Vers wurde (mit Budde, Vi­scher) um­ge­stellt. Dass der Reiche kein Grab be­kom­men soll, ist nicht ein­zu­se­hen. Hin­ge­gen wird die Fehl­ge­burt ruhm­los und un­auf­fäl­lig im Win­kel ver­scharrt (vgl. Hiob 3, 16).“
Quelle: »Das Buch der Weis­heit« / Pre­di­ger und Sprü­che, Hel­mut Lam­par­ter, Cal­wer Ver­lag Stutt­gart 1955.


»Die Bibel nach der Über­set­zung von Her­mann Menge. Die vor­lie­gen­de elek­tro­ni­sche Aus­ga­be gibt die letz­te von Menge be­ar­bei­te­te Text­fas­sung von 1939 in­klu­si­ve der Apo­kry­phen wieder.«
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